5 Missverständnisse über Quantencomputer (Teil 2 von 2)

Dies ist der zweite und letzte Teil zum Thema “5 Missverständnisse über Quantencomputer”. Wer den ersten Teil nicht gelesen hat, ist herzlichst eingeladen diesen unter 5 Missverständnisse über Quantencomputer (Teil 1 von 2) nachzulesen. Dort behandle ich Missverständnisse

  • zur Geschwindigkeit von Quantencomputern,
  • ob Quantencomputer die klassischen Computer ersetzen werden und
  • zur konkreten Anwendbarkeit von Quantencomputer.

Und los gehts!

4. Quantencomputer werden das Internet zerstören

Das Internet, wie wir es kennen, verwendet grossteils auf Verschlüsselung. Jeder Aufruf einer Webseite, Überweisung im Online-Banking oder selbst für eine Chatnachricht in einem Messenger verwendet Verschlüsselung. Verschlüsselung ist heutzutage nicht mehr wegzudenken. Die aktuellen Verschlüsselungsstandards beruhen aber auf einer simplen Tatsache: es ist einfach, zwei Zahlen zu multiplizieren, aber sehr, sehr schwierig, eine große Zahl in ihre Primfaktoren zu zerlegen.

Ein Beispiel: stellen Sie sich die Primzahlen 3 und 5 vor, die das Ergebnis 15 ergeben. 15 lässt sich in Ihrem Kopf leicht in 3 und 5 zurückverwandeln. Versuchen Sie es nun mit 143. Die Primfaktoren sind 11 und 13. Bei der Verschlüsselung werden normalerweise Zahlen mit 256 Bit verwendet, was eine Zahl mit 78 Ziffern ist. Das ist nicht einmal für einen Menschen schwer, sondern auch für heutige Computer.

Prof. Peter Shor hat jedoch einen Algorithmus entwickelt, mit dem eine Zahl in zwei Faktoren zerlegt werden kann, was klassische Computer nicht sehr gut können.

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Es gibt aber zwei Gründe, warum aktuell keine große Gefahr besteht:

  1. Shor’s Algorithmus würde abhängig von Verschlüsselungsalgorithmus tausende oder sogar Millionen von Qubits benötigen. Der bisher größte Quantencomputer hat 127 Qubits. IBM hat zwar eine Roadmap vorgestellt, welche einen QPU (Quantum Processing Unit) mit über 4000 Qubits bis Ende 2025 vorstellt, aber Experten sehen selbst diese nicht als Gefahr an.
  2. Ein vom NIST, das National Institute of Standards der USA, initiierter Wettbewerb zur Suche nach neuen Kryptografiealgorithmen ist bereits im Finale. Das Ergebnis des Wettbewerbs ist einer oder mehrere Algorithmen, die sicher vor Quantencomputer sind und werden als Post Quantum Cryptographie (PQC) bezeichnet. PQC soll die bisher verwendeten Schritt für Schritt ersetzen und dadurch die Kommunikation wieder sicher machen. Aber bis zur Auswahl eines Finalisten und bis zur Implementierung in aktuellen Programmen und Betriebssystemen kann es aber noch viele Jahre dauern.

Die Frage, die sich nun aber stellt, ist die folgende: was ist früher? Ein Quantencomputer, der groß genug zum Knacken von aktuellen Verschlüsselungen ist oder das Eintreffen neuer Algorithmen, welche sicher vor Quantencomputern sind?

Hier sind die Einschätzungen sehr unterschiedlich und der Zeitpunkt wird als Y2Q, kurz für Year-to-Quantum (angelehnt an Y2K, die Angst vor dem Jahreswechsel auf 2000), bezeichnet. Also der Moment, wann die bisherigen Algorithmen obsolet werden. Grobe Schätzungen sprechen hier von ca. 2030, wann das passieren könnte. Die Cloud Security Alliance zeigt eine Y2Q-Uhr, welche diesen Zeitpunkt andeutet, aber man sollte es nicht so genau nehmen. Die schnellen Fortschritte machen eine genaue Schätzung sehr schwer.

5. Quantencomputer sind die einzige Anwendung von Quantentechnologien

Quantentechnologie ist zwar die Basis von Quantencomputer, aber Quantencomputer ist nicht das einzige Anwendungsgebiet dieser Technologie. Aktuell ist das zwar das Thema, das meiste Interesse geniest, aber es ist nicht das einzige. Quantentechnologie kann in vielen Bereichen zu großen Fortschritten helfen. Im Weiteren gebe ich drei Beispiele, wo Quantentechnologie ebenfalls Anwendung findet.

Zufallszahlengenerierung

Zufallszahlen werden in vielen Bereichen der Information verwendet. Z.B. bei der Verschlüsselung im Internet, beim Lotto, tranieren einer AI oder auch für Berechnungen, welche Zufallszahlen benötigen (z.B. Monte Carlo-Verfahren).

Klassische Computer sind aber deterministisch und daher ziemlich schlecht im Erstellen von “echten” Zufallszahlen. Diese verwenden hier oft Pseudozufallszahlengeneratoren (PRNG), welche nur auf den ersten Blick Zufallszahlen liefern.

Quantentechnologie ist aber sehr gut im Erzeugen von Zufallszahlen, da die Zufälligkeit quasi eingebaut ist. Es kommen hier unterschiedliche Verfahren zum Einsatz und bietet hier die Möglichkeit Zufallszahlen in ausreichender Menge und Qualität zu liefern. Diese quantenbasierten Zufallszahlengeneratoren (QRNG) sind auch bereits allgemein verfügbar. Man kann hier z.B. die Zufallszahlen von der Universität in Canberra, Australien für Experimente verwenden oder auch Hardware von ID Quantique verwenden, welche einen Generator zum Einbau anbietet.

Quantenkommunication

Quantenkommunikation bedient sich grundlegender Eigenschaften von Quanten, dass man den Zustand eines Quantums nur einmal auslesen kann und danach ist das Quantum “zerstört”. Wird ein Quantum übertragen und es liest jemand dieses Quantum auf dem Weg zum Ziel aus, dann ist es für den ursprünglich gedachten Empfänger nicht mehr lesbar.

Das Quantum verliert den ursprünglichen Zustand durch das Auslesen. Man kann daher erkennen, ob die Übertragung abgehört wurde oder nicht. Quantenbasierte Kommunikation kann daher nicht nur helfen Daten zu übertragen, sondern man kann Abhören von einer Übertragung erkennen, welches bei herkömmlicher Kommunikation über das Internet nicht machbar ist.

Dies macht sich z.B. auch die Quantenschlüsselverteilung (Quantum Key Distribution oder kurz QKD) zu nutze. Dieses Verfahren verwendet die technischen Grundlagen der Quantenkommunikation zur sicheren Übertragung von Schlüsseln (z.B. von einem QRNG), welche dann zur späteren Verschlüsselung verwendet werden. D.h. die Schlüssel, welche man dann zur eigentlichen Übertragung verwendet, werden bereits abgesichert übertragen. Dadurch schafft man gemeinsam mit neuen Algorithmen die Grundlage für ein sicheres Internet.

Quantensensorik

Quantensensorik beschreibt die Nutzung eines Quantenphänomenen zur Messung einer physikalischen Größe. Hier werden unterschiedlichste Eigenschaften verwendet, bei den eine kleinste Veränderung einer bestimmten Meßgrösse (z.B. Gravitation) gemessen werden kann.

Im März haben Wissenschaftler einen Prototypen vorgestellt, welcher kleinste Veränderungen der Erdanziehung messen kann Die Veränderungen können durch Tunnel, Rohrleitungen oder Ruinen entstehen und kann mit diesem Gerät Hohlräume finden ohne dass man eine Straße aufreißen muss.

Die Genauigkeit von Quantensensorik kann auch helfen, wenn es um den menschlichen Körper geht. Quantensensorik könnte Neuroimaging (=Vermessung vom Nervensystem eines Menschen) massiv verbessern oder auch vielleicht sogar in ferner Zukunft im ein Gehirn-Computer-Interface werden. Damit lißen sich z.B. Prothesen besser oder genauer steuern als mit Messungen durch krude Elektroden, wie es Neuralink demonstriert hat. In Zukunft vielleicht ohne medizinischen Eingriff.

Fazit

Google hat schon vor Jahren behauptet, dass Quantencomputer schon angekommen sind, indem es die Quantenüberlegenheit mit einer 57-Qubit-Maschine ankündigte. Dies hat sich jedoch als “falsch” oder als übertrieben erwiesen, da es sich um einen speziellen Anwendungsfall handelte, der auch auf einem klassischen Computer berechnet werden könnte. Viele Branchenkenner sind immer noch optimistisch, dass Quantencomputer bald kommen werden, manche sagen in 5 Jahren, manche aber erst in 10 Jahren oder manche sagen sogar nie.

Aber selbst wenn wir die notwendige Stabilität und Leistungsfähigkeit von Quantencomputern nicht so schnell erreichen, sind die mit aktuellen Quantencomputern und der Forschung gewonnenen Erkenntnisse immer noch nützlich (z. B. quanteninspirierte Algorithmen oder konkrete Optimierungen durch Quantencomputer) und auch Anwendungen außerhalb von Quantencomputer wie Quantenkommunikation, Quanteschlüsselverteilung oder auch Quantensensensorik sind bereits kommerziell im Einsatz.

Es ist also kein Fehler sich die grundlegendsten Kenntnisse sich anzueignen, damit man zumindest zwischen Hype und Realität unterscheiden kann.

Dieser Beitrag war ursprünglich ein Gastbeitrag bei t2Informatik und ist dort unter dem Link https://t2informatik.de/blog/5-missverstaendnisse-bei-quantencomputern/. Demnächst wird dort ein weiterer Gastbeitrag erscheinen, welcher sich um das Thema Business Analyse & Security dreht. Als langjähriger Business Analyst mit einem Interesse an Security & Privacy ist es mir ein Anliegen, dass dieses Thema bereits so früh als möglich bei Projekten behandelt wird. Ihr dürft gespannt sein.

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